Exit-Strategien: Rückkehr aus dem Lockdown - Interview mit Herrn Dr. Gerecke

Im Webinar mit wellabe stand Herr Dr. Uwe Gerecke, Präsidiumsmitglied und wissenschaftlicher Leiter des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte e.V. den Teilnehmern Rede und Antwort. Wir haben seine wichtigsten Tipps und Empfehlungen für Arbeitgeber zusammengestellt. 

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Herr Dr. Gerecke - wie ist die aktuelle Situation? Haben wir in Deutschland das Gröbste schon überstanden? 

In der Tat sind die Infektionszahlen in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen und Deutschland kehrt zur Normalität zurück. Dennoch haben wir in Deutschland echtes Glück gehabt. Der Kelch der ausufernden Erkrankungen ist an uns vorübergegangen. Das vielleicht auch, weil die Bundesregierung und die Politik so früh reagiert haben. Im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarn verzeichnen wir mit ca. 8.800 Toten deutlich weniger Sterbefälle. Bei den Erkrankten wiesen nur ca. 20 % schwere Symptome auf. Man geht davon aus, dass 80 % der Infektionen symptomlos oder symptomarm abliefen. Das ist auch das Gefährliche, der Virus wird schnell über die Luft übertragen. Betroffene können als Überträger fungieren ohne selbst von einer Infektion zu wissen. 

Auch wenn Deutschland und das Gesundheitssystem hier sehr gut mit dem Virus umgegangen sind, überstanden ist die Corona-Krise damit noch nicht. Zunächst einmal, weil es sich um eine weltweite Ausbreitung handelt und einzelne Länder noch vor dem Höhepunkt der Ausbreitung stehen und zum anderen, weil sich die Entwicklung eines Impfstoffs schwieriger gestaltet als das beispielsweise bei der Schweinegrippe vor einigen Jahren der Fall war. Trotz sinkender Neuinfektionen ist es eher unwahrscheinlich, dass das Virus ganz verschwindet, daher haben Ärzte Sorge vor einer zweiten Welle. 

 

Wie können sich Betriebe denn auf eine mögliche zweite Welle vorbereiten? 

Man hatte ja mit einer Pandemie gerechnet und vor zwanzig Jahren schon damit begonnen Pandemiepläne zu schreiben und sich vorzubereiten. Nach der Schweinegrippe wurde das Thema dann jedoch auch in den Betrieben ein wenig aus den Augen verloren. Und so waren nun viele Unternehmen auf die Pandemie in der Tat nicht ausreichend vorbereitet und waren überrascht. Es gab nicht genügend Atemschutz, Reinigungsmittel und Desinfektionsmittel und auch EDV-mäßig waren viele Betriebe erst einmal nicht auf die umfangreiche Home-Office-Umstellung vorbereitet.

Ich glaube jedoch, dass die Unternehmen zwischenzeitlich gut aufgestellt sind und die betrieblichen Abläufe wieder vorsichtig in Gang setzen können. Allerdings sollten sie dabei immer im Hinterkopf behalten, dass im Herbst noch einmal eine zweite Welle kommen könnte. Deswegen empfehle ich auch, die Pandemiepläne, die jetzt eventuell in den Betrieben vorhanden sind, nicht wieder einzumotten. Man sollte evaluieren, was gut und was schlecht gelaufen ist und vor allem abwägen, wie wir uns auf eine neue Situation im Herbst vorbereiten können. Denn es ist besser, vorbereitet statt überrascht in eine neue Krise zu laufen.

 

Gibt es denn allgemeine Handlungsempfehlungen, was Arbeitgeber jetzt für die Rückkehr aus dem Lockdown beachten sollten?

Unternehmen sind unterschiedlich; also sind sie auch verschieden mit der Pandemie umgegangen. So sind beispielsweise viele Verwaltungsbetriebe ins Home-Office gegangen - insofern das möglich war. Nun holen einige Unternehmen ihre Mitarbeiter wieder zurück an den Arbeitsplatz. Hier sollten drei Grundregeln gelten: Erstens, wer krank ist, gehört nicht an den Arbeitsplatz. So können Ansteckungen verhindert werden. Zweitens, Abstand halten ist das Gebot der Stunde. Das bedeutet zum einen, Abstand halten zum nächsten Kollegen, aber auch Besprechungen noch moderat und in kleinen Gruppen zu halten, wenn möglich weiterhin per Videokonferenz durchzuführen. Außerdem sollte immer ausreichend gelüftet werden. Und drittens, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, der bei korrekter Anwendung zusätzlichen Schutz vor Infektionen bietet.

Auch im Betrieb sollte man stets Abstand voneinander halten und einen Mund-Nasen-Schutz tragen.Nach wie vor ist das Einhalten von bestimmten Hygiene- und Sicherheitsmaßnahem sehr wichtig, um einer weiteren Verbreitung des Virus entgegenzuwirken.
Was gilt es in Bezug auf gesundheitliche Risikofaktoren, die bei Mitarbeitern auftreten können, zu beachten?

Es zeigte sich im Laufe der Pandemie, dass vor allem Personen mit bestimmten Risikofaktoren schwerere Krankheitsverläufe hatten . Diese Risikofaktoren sind unter anderem das Alter, das Geschlecht, Übergewicht, hoher Blutdruck, Diabetes mellitus, Erkrankungen des Herzens, Lungenerkrankungen, sowie Beeinflussungen des Immunsystems. Menschen mit diesen Risikofaktoren sind natürlich besonders gefährdet und hier gilt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die Situation am Arbeitsplatz zu evaluieren. Arbeitgeber sind somit aufgerufen, vor der Rückkehr aus dem Lockdown, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Diese muss von Betrieb zu Betrieb ganz unterschiedliche Aspekte berücksichtigen, je nach Branche, Tätigkeit oder bestehendem Publikumsverkehr.

Die Vorgesetzten müssen jetzt keine ärztlichen Aufgaben übernehmen und Diagnosen stellen, aber sie müssen ihren Beschäftigten erklären, dass besondere Rücksichtnahmen gelten, besonders für diejenigen, die Risikofaktoren aufweisen. Diese Personen sollten sich natürlich mit einem Arzt besprechen, idealerweise mit einem Betriebsarzt, da dieser die Situation im Betrieb gut beurteilen kann. Das ist jetzt auch die wichtigste Aufgabe von Betriebsärzten: die Unternehmen in der Gefährdungsbeurteilung zu unterstützen und die Menschen mit Risikofaktoren zu beraten. Wer ein höheres Risiko hat, sich am Arbeitsplatz anzustecken, dem sollten Arbeitgeber trotz der Rückkehr aus dem Lockdown, soweit dies möglich ist, weiterhin die Arbeit im Home-Office gestatten.

 

Wie wird diese Beratung durch den Betriebsarzt durchgeführt, wenn die Mitarbeiter sich momentan noch im Home-Office befinden?

Die Betriebe haben selbstverständlich Kontakt zu den Mitarbeitern gehalten, auch im Home-Office. Das war auch eine wichtige Aufgabe von uns Betriebsärzten. Wir haben dazu natürlich auch die Möglichkeiten der Telemedizin genutzt und Videosprechstunden angeboten, um mit Beschäftigten sprechen zu können.

Betriebsärzte können auch in Zeiten des Home-Offices helfen, indem sie Sprechstunden über Videoplattformen anbieten.Telemedizin ist besonders in Zeiten einer Pandemie eine sinnvolle Möglichkeit, Mitarbeitern Sprechstunden und medizinische Unterstützung anzubieten.

 

Nun eine Frage zum Thema Impfungen. Wissen Mitarbeiter um den aktuellen Impfstatus? Und welche Impfungen sind zur aktuellen Situation sinnvoll?

Der Impfstatus hat in Deutschland Verbesserungspotential. Wir alle haben einen Impfpass, dieser wird jedoch meist nur dann überprüft, wenn eine längere Auslandsreise geplant ist. Tatsächlich müssen Impfungen aber regelmäßig wiederholt werden, so muss beispielsweise die Grippeimpfung jährlich aufgefrischt werden.

Für das Coronavirus gibt es ja noch keinen Impfstoff, wir gehen aber davon aus, dass dieser in Europa frühestens im Frühjahr nächsten Jahres zur Verfügung stehen wird. Bis er weiterhin in ausreichender Kapazität vorhanden ist, wird es voraussichtlich Herbst nächsten Jahres sein. Aber die Empfehlung ist natürlich, dass Impfungen gegen die Grippe und gegen Pneumokokken jetzt mit weniger Corona-Fällen gut beim Hausarzt oder Betriebsarzt durchgeführt werden können. Das sollten die Risikopatienten wahrnehmen und diese Impfung vor der Rückkehr aus dem Lockdown machen lassen.

 

Wie stehen Sie zu Antikörpertests? Sind diese Tests aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Wir müssen bei den Tests zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist das Feststellen der akuten Erkrankung mit Hilfe eines Nasen-Rachen-Abstrichs und dann gibt es die neuen Antikörpertests. Der Körper bildet ja bei Kontakt mit dem Virus Antikörper, sogenannte Immunglobuline. Der Nachweis dieser Immunglobuline kann somit auf eine mögliche Widerstandsfähigkeit gegen das Virus hindeuten.

Mittlerweile können Antikörpertests recht schnell und unkompliziert auch von Betriebsärzten durchgeführt werden.Sowohl Corona-Tests als auch Antikörpertests sind mittlerweile sehr genau und es ist besonders sinnvoll, vor der Rückkehr aus dem Lockdown einen solchen Test zu machen.

Mittlerweile haben ausgewählte Tests eine Sensitivität von 100 %. Sie erkennen also tatsächlich, ob jemand die Erkrankung hatte. Und deswegen sind diese Tests auch gut. Sie sind gut für Personen, die in den letzten drei Monaten krank gewesen sind, die sich vielleicht nicht einer akuten Testung unterziehen konnten und wissen wollen, ob sie schon Kontakt mit dem Coronavirus hatten. Außerdem sind sie auch im Vergleich zu den akuten Testungen wirtschaftlich erschwinglicher, weshalb sie auch für betriebliche Testungen in Frage kommen, wenn überprüft werden soll, wie die Antikörper-Situation innerhalb der Belegschaft ist. Trotzdem muss man im Hinterkopf behalten, dass durchaus auch die Möglichkeit für falsch negative Testergebnisse besteht.

 

Damit wir nicht nur über die negativen Auswirkungen sprechen, sondern auch über mögliche Chancen, abschließend einmal die Frage, ob Sie auch etwas Positives aus dieser Krise ziehen können?

Ich denke wir haben große Fortschritte im Bereich der Digitalisierung gemacht. Da ist in den letzten Wochen einiges möglich gemacht worden. Viele Personen, die ins Home-Office gegangen sind, haben festgestellt, dass das in der Tat auch eine gute Möglichkeit ist, um zu arbeiten. Auch, wenn die Herausforderungen teilweise groß waren. Vor allem für die, die gleichzeitig noch die Kinderbetreuung übernehmen mussten. Dann ist natürlich auch das Thema Solidarität, das aufeinander Achtgeben in dieser Krisensituation als positiv zu bewerten. Das wäre gleichzeitig auch mein Wunsch für die Zukunft: das jetzt in den nächsten Wochen nicht aus den Augen zu verlieren. Gebührend aufeinander zu achten und trotz Rückkehr aus dem Lockdown noch ein bisschen Abstand und Vorsicht walten zu lassen.


Herr Dr. Gerecke, vielen Dank für das Gespräch!

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