Mitarbeitergesundheit zwischen Home und Office

Im Webinar gaben Sarah Thalacker (Consultant Sicherheits- und Behördenmanagement, Lidl Dienstleistung GmbH und Co. KG) und Oliver Walle (Vorstandsvorsitzender BBGM, Dozent & BGM-Berater) im Gespräch mit Michael Theodossiou (Co-Founder & Geschäftsführer, wellabe) spannende Einblicke in die Herausforderungen für das Corporate Health Management in neuen Arbeitswelten, hybriden Modellen und dezentralen Strukturen. Wir haben die wichtigsten Tipps und Empfehlungen noch einmal zusammengefasst. 

Inhaltsverzeichnis

  1. Herr Walle, was ist Ihre Einschätzung? Welche Entwicklungen werden uns in diesem Bereich in nächster Zeit erwarten?
  2. Decken sich diese Kenntnisse auch mit Ihren praktischen Erfahrungen, die Sie über den Bundesverband BGM aktuell mitbekommen?
  3. Frau Thalacker, welche neue Herausforderungen ergeben sich jetzt für solche Unternehmen?
  4. Herr Walle, welche Strukturen müssen Unternehmen denn jetzt schaffen, um ein zeitgemäßes BGM zu implementieren, das die Beschäftigten erreicht?
  5. Heißt das, auch die Rolle der BGM-Manager verändert sich?
  6. Welche gesundheitsfördernden Maßnahmen bieten sich gerade für diese hybriden Modelle jetzt an, Frau Thalacker?
  7. Frau Thalacker, wie ist Ihre Einschätzung?
  8. Was sind jeweils Ihre Top3-Tipps, um BGM jetzt auch nach der Krise in solchen hybriden Modellen erfolgreich umzusetzen?
  9. Frau Thalacker, wie ist Ihre Einschätzung?

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MT: Die Corona-Pandemie hat das Corporate Health Management maßgeblich beeinflusst - Home-Office war an der Tagesordnung und gehört für viele inzwischen zum New Normal. Andere wiederum zieht es schnellstmöglich zurück ins Büro, um endlich die Kolleg*innen wiederzutreffen. Herr Walle, Sie kennen als Dozent und Autor den Forschungsstand und die Studienlage zu diesem Thema - was ist Ihre Einschätzung? Welche Entwicklungen werden uns in diesem Bereich in nächster Zeit erwarten?

OW: Ja, das Thema Home-Office ist salonfähig geworden. Früher hatte man sich immer gewünscht, im Home-Office arbeiten zu dürfen. Jetzt hatte man durch Corona die Chance, es einmal auszuprobieren und einige haben auch toll darauf reagiert.
Insgesamt gab es zahlreiche Corona-Home-Office Studien. Wir, von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, haben auch eine Studie gemacht, in der wir das Thema Arbeitsfähigkeit, Ergonomie sowie die Qualität der Arbeit im Home-Office hinterfragt haben. Unser Ergebnis deckt sich im Großen und Ganzen mit allen Studien, die damals durchgeführt wurden: dass das Home-Office insgesamt erst einmal positiv bewertet wurde. So sind beispielsweise Pendelzeiten weggefallen oder verringert worden oder es gab mehr Möglichkeiten die Work-Life-Balance zu gestalten. Dazu muss man allerdings auch sagen, dass wir 2020 auch einen toller Sommer hatten. Wer es schon einmal ausprobieren wollte, konnte am Nachmittag einen Prosecco auf der Terrasse trinken - völlig unbeschwert. Was sich allerdings in der Studie zeigt, ist, dass das Thema Ergonomie eine große Herausforderung war. An einem nicht-höhenverstellbaren Tisch und Stuhl, im schlimmsten Fall mit einem sehr kleinen Laptop, den ganzen Tag Büroarbeit zu erledigen, ist eine der Herausforderungen, die in Rückenschmerzen resultieren kann. Das haben auch die Krankenkassen festgestellt. In einem Bericht Anfang des Jahres zum Arbeitsunfähigkeitsgeschehen zeigt sich ein deutlicher Anstieg bei den Rückenschmerzen. Studien zeigen auch, dass alle Personen mit zusätzlichem Home-Schooling und Kinderbetreuung vermehrt gestresst waren. Außerdem sind soziale Kontakte zurückgegangen. In der Winterzeit zeigte sich eine Zunahme der Depressionen und Angststörungen. Man sieht, die Studienlage zur Home-Office-Tätigkeit während der Pandemie ist sehr gemischt. Das skizziert die Faktenlage aus dem Jahr 2020 und nun wird sich zeigen, was 2021 bringt.

MT: Decken sich diese Kenntnisse auch mit Ihren praktischen Erfahrungen, die Sie über den Bundesverband BGM aktuell mitbekommen? 

OW: Bei uns im BBGM sind natürlich primär Dienstleister organisiert, weswegen wir selbst eine Untersuchung aus Dienstleister-Sicht gestartet haben. Für die Dienstleister gab es zuerst einen Wegfall der Beschäftigung, da gerade die praktische Seite der betrieblichen Gesundheitsförderung mit den vor-Ort-Kursen und -Programmen aufgrund des Infektionsschutzes von 100 auf 0 zurückgefahren wurde. Natürlich haben einige Unternehmen versucht die Maßnahmen noch einigermaßen aufrechtzuerhalten. Aber es dauerte seine Zeit, bis auf digitale Lösungen umgestiegen wurde. Aus Sicht des BBGM kann ich somit sagen, was grundsätzlich im betrieblichen Gesundheitsmanagement passiert ist: ein Herunterfahren. 

Auf der praktischen Seite kamen Forderungen der Unternehmen, mehr digitale Lösungen bereitzustellen, damit das Thema betriebliche Gesundheit auch auf Distanz funktioniert. Wir haben im Verband dabei festgestellt, dass wir unsere Mitglieder bei der Frage, wie entwickelt man denn eigentlich digitale Lösungen, noch besser unterstützen müssen.

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MT: Mit solchen hybriden Arbeitsformen kennt sich der Einzelhandel bereits aus - hier sind dezentrale Strukturen seit jeher an der Tagesordnung. Frau Thalacker, welche neue Herausforderungen ergeben sich jetzt für solche Unternehmen? 

ST: Genau, neu ist das Thema nicht. Diese dezentralen Strukturen stellen uns schon länger vor kleine Herausforderungen, beispielsweise bei der Organisation eines Gesundheitstages oder der Durchführung einer Bedarfsermittlung. Das ist natürlich viel einfacher, wenn alle Beschäftigten an einem Ort und die eigenen personellen Ressourcen ausreichend sind. Durch die dezentralen Strukturen wird dies verzerrt und durch das Home-Office noch erweitert. Und zuhause kann man eben auch mal auf der Terrasse oder dem Balkon arbeiten. Also die Frage, wo der Arbeitsplatz ist, verschwimmt weiter. Die Beschäftigten dann möglichst da abzuholen, wo sie gerade sind, ist dadurch natürlich eine extreme Herausforderung. Das resultiert in vermehrtem Organisationsaufwand, der mit eigenem Personal gar nicht mehr gestemmt werden kann. Da sind die großen Konzerne davon abhängig, dass Dienstleister vor Ort sind und unterstützen.
Was mir aufgefallen ist, wenn man früher am Standort beispielsweise eine Bewegungschallenge durchführte, dann motivierte man sich gemeinsam und dieser Teamgedanke ist jetzt im Home-Office ein wenig weggefallen. Dieser Wir-Gedanke und das Soziale, was durch Gamification-Ansätze verstärkt wurde, fällt weg.
Außerdem fließen Arbeit und Privates jetzt noch extremer zusammen. Hier ist es wichtig, vor allem auch auf der psychosozialen Ebene und bei der mentalen Gesundheit der Beschäftigten anzuknüpfen. Das ist natürlich erschwert, wenn man seine Beschäftigten nicht sieht. Das sind meines Erachtens die größten Herausforderungen. 

MT: Herr Walle, welche Strukturen müssen Unternehmen denn jetzt schaffen, um ein zeitgemäßes BGM zu implementieren, das die Beschäftigten erreicht? 

OW: Was auf jeden Fall bleiben wird, ist, dass das Home-Office als neues Handlungsfeld in einem BGM aufgenommen werden muss. Es handelt sich um eine ganz neue Situation, die nicht vergleichbar ist mit dem bisherigen Umfeld. Das sieht man am Beispiel der Fachkraft für Arbeitssicherheit sehr gut. Es ist nicht vorstellbar, dass diese in Zukunft bei jedem Angestellten zuhause nachschauen kommt, ob die Ergonomie stimmt. Wir brauchen ganz andere Wege, wie solche Sachen funktionieren. Stichwort “Ergonomie im Home-Office”. Hierzu sind auch neue Leistungen entwickelt worden: Zum Beispiel eine Arbeitssituationsanalyse, die über ein Webmeeting dann von zuhause durchgeführt wird, oder auch eine Ergonomie-Beratung. Wenn ein Angestellter beispielsweise etwas für das Home-Office kaufen oder umbauen möchte, ist der nächste sichere Schritt zu beraten, worauf hier geachtet werden sollte. Aber auch Pausen- oder Bewegungsübungen, die ideal auf die jeweilige Tätigkeit der Beschäftigten angepasst sind, mit begleitenden Erklärungen via Video, können hilfreich sein. Durch diese entstandenen Leistungen sind wir auch eher im betrieblichen Gesundheitsmanagement, als nur in einer Maßnahme der Gesundheitsförderung, da wir nicht immer nur die Verhaltensweisen sondern auch die Verhältnisse mit prüfen. All diese Dinge sind eher struktureller Natur und das wird meines Erachtens auch weiterhin ein Thema bleiben. Der GKV-Spitzenverband beschäftigt sich auch mit der Frage, wie solche Themen wie digitale Lösungen oder Home-Office jetzt auch in den Leitfaden Prävention integriert werden, der ja sonst bei praktischen Maßnahmen das klassische Kursprogramm anbietet. Aber, wie machen wir das kollektiv zuhause? Da benötigt es jetzt neue Lösungen und Strukturen, wie das künftig funktioniert. 

MT: Heißt das, auch die Rolle der BGM-Manager verändert sich?

OW:  In dieser Hinsicht wird das Wort Kompetenz eines der Wörter sein, das wir im BGM stärker gebrauchen werden - Stichwort Gesundheitskompetenz, Ergonomiekompetenz, Stresskompetenz. Das war früher nicht so präsent. In der Vergangenheit haben die BGM Verantwortlichen eher Maßnahmen durchgeführt, bei denen einer etwas vormacht und alle anderen es nachmachen. Nach Abschluss einer solchen Maßnahme hatten die Teilnehmenden im Endeffekt nicht viel gelernt, weil dann die alten Verhaltensweise schnell wiederkommen. Hier fehlte dann dieser “Klick-Moment”. Deshalb muss der BGM-Manager / die BGM-Managerin mehr Maßnahmen auf das Prinzip des Kompetenzerwerbs auslegen, damit Beschäftigte damit befähigt werden, selbst eigenverantwortlich mit ihrer Gesundheit umzugehen. Das Ziel muss es also sein, die Beschäftigten kompetenter zu machen, egal von wo aus sie arbeiten. 

ST: Dazu fällt mir das Wort “Empowerment” ein, also die Befähigung, selbst zu verstehen, was Gesundheit eigentlich ist und welche Maßnahmen individuell am besten passen. Schließlich sind die Begebenheiten jedes Einzelnen unterschiedlich. Da gibt es zum einen die, die diese Kompetenz bereits haben und mit dem Home-Office sehr gut zurechtkommen, aber auch die, die von den strukturellen Veränderungen total überfordert sind. Deshalb ist es wichtig, eine Kombination aus flächendeckenden und individuellen Maßnahmen anzubieten, um jeden dort abzuholen, wo er oder sie gerade steht.

MT: Nachdem die neuen Strukturen und Rollen implementiert sind, geht es dann um konkrete Maßnahmen - welche gesundheitsfördernden Maßnahmen bieten sich gerade für diese hybriden Modelle jetzt an, Frau Thalacker?

ST: Hier steht die Kommunikation am Anfang. Die Beschäftigten sollten zunächst über die Möglichkeiten des Unternehmens informiert werden. Welche Modelle sind möglich und welche Rechte, aber auch Pflichten gehen damit einher? Dann sollte bewusst die Gesundheitskompetenz der Beschäftigten gestärkt werden. Das muss gar nicht mit aufwendigen Maßnahmen geschehen, sondern kann zu Beginn auch durch kleine Impulse, geschehen, die beispielsweise die Bewegung im Alltag zuhause fördern. Auch Webinare und Coachings sind hier wertvoll. Wichtig ist es, den Beschäftigten das Gefühl zu vermitteln, dass sie auch in der Distanz nicht alleine sind. Das kann beispielsweise das Angebot einer telemedizinischen Beratung untermauern, die jederzeit wahrgenommen werden kann. Daneben ist das Thema Ergonomie entscheidend. Idealerweise wird hier entsprechendes Mobiliar wie höhenverstellbare Tische bereitgestellt, es kann aber auch die Ergonomieberatung für zuhause sein, die wertvolle Tipps gibt, wie ich vielleicht mit Alltagsgegenständen meinen Arbeitsplatz entsprechend gestalten kann. Und bei allen Vorteilen der digitalen Maßnahmen, spielt auch die Haptik im Home-Office eine Rolle. Kleine Aufmerksamkeiten, die zum Thema Gesundheit passen, wie beispielsweise Sportutensilien, kommen bei den Beschäftigten sehr gut an und zeigen die Wertschätzung des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeiter*innen, die gerade auf Distanz nicht zu kurz kommen sollte. Nicht zu vernachlässigen, ist auch die Struktur, die ein Arbeitsalltag im Büro normalerweise vorgibt. Es ist wichtig, die Beschäftigten auch im Home-Office zu Ritualen zu ermutigen, die eine Struktur vorgeben. Insbesondere Führungskräfte und Mitglieder eines Teams sind dann gefragt, die Strukturen und neuen Arbeitszeiten der Kolleg*innen mit den eigenen zu vereinbaren und beispielsweise Zeiten für Meetings zu finden, die in den Rhythmus aller passen. Wenn es um Flexibilität geht, sprechen wir immer auch über Work-Life-Balance und die notwendigen Erholungspausen zum Abschalten. Hier spielt das Thema Schlaf eine entscheidende Rolle und sollte Teil des BGMs sein. Ein weiteres Thema ist die mentale Gesundheit, die beispielsweise über eine Hotline, an die sich Beschäftigte jederzeit wenden können, gestärkt werden kann. Es wird schon klar, dass die Themen sehr vielfältig sind, aber genauso vielfältig sind eben auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen und genau darauf muss eingegangen werden.

OW: Diese Verschiebung zeigt sich auch bei den Krankenkassen. So war im Leitfaden Prävention bis dato stark der Fokus auf Präsenzveranstaltungen, aber auch da ist der Abschnitt zu digitalen Angeboten inzwischen weitaus größer geworden und die Krankenkassen sind bereit, auch mal Pilotprojekte und neue Ansätze zu testen und zu finanzieren. Wenn aus der Vielzahl digitaler Angebote dann auch wirklich die ausgewählt werden, die für das eigene Unternehmen bedarfsgerecht sind, haben die in diesen hybriden Modellen auf jeden Fall ein großes Potenzial. 

MT: Das kann ich bestätigen. Waren wir vor Corona noch überwiegend vor Ort im Einsatz, unterstützen wir Mitarbeiter*innen heute auch im Home-Office. Viele wichtige Gesundheitswerte können mit Hilfe unserer Home-Tests von den Beschäftigten selbst bequem von zuhause erhoben werden. Dabei können die üblichen Themenfelder Ernährung, Bewegung und Stress adressiert werden. Wichtig bleibt, dass die Mitarbeitenden mit den Ergebnissen nicht alleine gelassen werden. Ob nach einem Gesundheits-Check-up am Arbeitsplatz, oder einem Check-up daheim, alle Teilnehmer erhalten im Anschluss eine Online-Gesundheitsberatung. In der werden individuelle Maßnahmen geplant und Tipps an die Hand gegeben, die helfen sollen, die eigenen Gesundheit nachhaltig zu verbessern. Die wellabe App bietet den Zugang zu digitalen Programmen und persönlichen Video-Coachings.  In Folge-Check-ups bzw. -Erhebungen lassen sich Erfolge sehr gut messen und die Wirksamkeit von Interventionen evaluieren. Das interessiert Nutzer, Arbeitgeber und Krankenkassen gleichermaßen. Wir mussten also sehr schnell auf die neuen Herausforderungen unserer Kunden und ihrer Beschäftigten reagieren. Da auch das Home-Testing-Angebot leitfadenkonform umgesetzt worden ist, haben wir schnell erste Kassenpartner für gemeinsame Projekte gewinnen können.

OW: Grundsätzlich ist es glaube ich wichtig, den Austausch zwischen den verschiedenen Parteien zu fördern. So haben wir beim BBGM beispielsweise auch eine Arbeitsgruppe zum Thema E-Health ins Leben gerufen, um uns über Erfahrungen und Ideen auszutauschen und so das Thema digitales BGM weiter voranzutreiben, das als Ergänzung zu analogen Maßnahmen relevanter denn je ist. Denn eines ist klar: Diese hybriden Arbeitsformen werden uns auch nach der Krise weiter begleiten und genau darauf muss ich das Corporate Health Management einstellen. 

MT: Mit der Umsetzung diverser Maßnahmen für unterschiedliche Arbeitswelten stellt sich vielleicht auch die Kostenfrage  - Frau Thalacker, wie ist Ihre Einschätzung? Denken Sie, man muss künftig stärker priorisieren und weniger unterschiedliche Initiativen umsetzen, weil weniger Mittel da sind, oder wird die Budgetfrage eher zweitrangig sein, weil die Bedeutung von BGM allgemein zugenommen hat? 

ST: Budgetfragen wird es glaube ich immer geben, die werden nie ganz wegfallen. Aber es ist auf jeden Fall so, dass die Themen Gesundheit und Arbeitssicherheit inzwischen einen ganz anderen Stellenwert bekommen haben - das sieht man auch an den personellen Ressourcen, die aufgestockt werden. Auch im Management ist angekommen, dass die Gesundheit der Beschäftigten einen entscheidenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Gesundheit des Unternehmens hat. Damit das Budget nicht zum entscheidenden Kriterium wird, gilt es, systematisch vorzugehen. Das heißt, eine wirkliche Bedarfsanalyse zu erstellen und auf Basis dessen Dienstleister und Maßnahmen auszuwählen, die vorher definierte Ziele erreichen. So ist auch eine Evaluierung der Maßnahmen und des eingesetzten Budgets möglich.

OW: Zum Thema Budget muss man sagen, dass natürlich Branchen unterschiedlich von der Krise betroffen sind und das auch Auswirkungen auf das Kostenthema hat. Hier möchte ich aber die Krankenkassen noch einmal hervorheben, die beim Thema Finanzierung unterstützen. Grundsätzlich machen sich Budgets, die jetzt in der Krise nicht eingesetzt wurden, jetzt bemerkbar. So sehen wir bei den Mitarbeiter*innen jetzt insbesondere psychosoziale Problematiken und Rückenprobleme, die aufgearbeitet werden müssen und für die Gelder dringend notwendig sind. Und intern gilt es, wie schon angesprochen, auch der Geschäftsführung bedarfsgerechte Angebote zu unterbreiten, die mit wirklichen Daten und Fakten sowie Studien untermauert sind, um die Notwendigkeit und auch die positiven Effekte zu belegen. Ich empfehle da beispielsweise die Studie zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland. Diese zeigt unter anderem, dass Menschen mit geringerer Gesundheitskompetenz auch höhere Fehlzeiten haben. Und solche Aspekte sind auch im ökonomischen Denken relevant und helfen daher beim internen Pitch um Budget. Mit dem gesteigerten Bewusstsein und teils auch einer neuen Generation an Managementriege, ist die Geschäftsführung inzwischen offener für das Thema Gesundheit - insbesondere, wenn die Daten und Argumente entsprechend systematisch aufbereitet, wissenschaftlich untermauert und dargestellt werden. 

MT: Abschließend noch eine offene Frage: Was sind jeweils Ihre Top3-Tipps, um BGM jetzt auch nach der Krise in solchen hybriden Modellen erfolgreich umzusetzen?

ST: Egal ob Krise oder nicht: Das Entscheidende für mich ist immer die Kommunikation. Einerseits kann Kommunikation helfen, den Stellenwert, den Gesundheit im Unternehmen hat, zu untermauern und andererseits hilft Kommunikation immer auch bei der Erreichung der Beschäftigten. Es gilt, regelmäßig über Themen zu informieren und auch verschiedene Kanäle zu nutzen, um wirklich alle Beschäftigten zu erreichen. Auch der Plattformgedanke zum Austausch innerhalb der Belegschaft spielt hier eine Rolle. Der zweite Punkt ist für mich ein wirklich bedarfsgerechtes Angebot. Dazu sollte zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht werden, um festzustellen, welche Maßnahmen wirklich sinnvoll sind. Den dritten Punkt widme ich der Stärkung der Gesundheitskompetenz der Beschäftigten. Mitarbeiter*innen - und Führungskräfte im Besonderen - sollen vom Unternehmen aktiv dazu motiviert und ermutigt werden, die für sich passenden Maßnahmen zu ergreifen, Dinge konkret auszuprobieren und aktiv Zeit in die eigene Gesundheitskompetenz zu investieren.

OW: Ein Punkt deckt sich mit den vorherigen Ausführungen - auch für mich ist die Bedarfs- und Zielgruppenorientierung definitiv ein Aspekt, der in meine Top3 gehört. In den letzten Jahren wurde das leider häufig vernachlässigt, wird aber zunehmend wichtiger und rückt in den Fokus. Als zweiten Punkt sehe ich das Thema der Individualisierung. Für mich ist das auch der effektivste Weg, BGM Maßnahmen umzusetzen. Jeder Mensch ist unterschiedlich und dann funktionieren die gängigen Kursangebote, bei denen jeder das gleiche Angebot und die gleiche Belastung erfährt, auch nicht für jeden gleichermaßen. Aus sozialen Aspekten sind diese Gruppenformen in der Prävention natürlich nachvollziehbar, aber auch in der Gruppe sollte ich den einzelnen Mitgliedern eine individuelle Belastungsdosierung geben. Auch die Studienlage ist bei dem Thema eindeutig. Aktuell ist es in der Praxis noch schwierig, das alte Muster aufzubrechen, weil beispielsweise auch in den geförderten Initiativen nach dem Leitfaden Prävention die Gruppenorientierung im Vordergrund steht. Die Krankenkassen sind sich dieser Problematik aber bereits bewusst. Als dritten Punkt will ich noch drei Aspekte anführen, wo wir künftig verstärkt aktiv werden müssen. Und das sind Gesundheitskompetenz, Gesundheitskommunikation und das Home-Office als Handlungsfeld. Bei letzterem gibt es schon zahlreiche Angebote, die sind aber meist darauf ausgerichtet, dass man allen die gleichen Inhalte bereitstellt, die dann konsumiert werden können. Aber auch hier muss die Individualisierung anknüpfen und fokussierte Angebote liefern, die auch im Home-Office wahrgenommen werden und einen echten Mehrwert liefern. Das können beispielsweise auch Maßnahmen sein, die virtuell das Gruppengefühl stärken - so bleibt der gemeinsame Kaffee am Morgen als Ritual auch in dezentralen Strukturen erhalten. 

MT: Das waren spannende Einblicke und tolle Tipps für die Praxis - vielen Dank für das Gespräch, Frau Thalacker und Herr Walle!

 

Aktuelle Studien zum Thema Home-Office, Auswahl durch Herrn Oliver Walle:


Berichte der Krankenkassen zu veränderten Krankeschreibungen aufgrund der Corona-Pandemie:
Studie zur Gesundheitskompetenz:
Studien zu Corona, Homeoffice und Gesundheit:
Studien BBGM und DHfPG:

wellabe ist der innovative Partner rund um Gesundheit am Arbeitsplatz und bietet Check-ups vor Ort, Home-Tests, digitale Gesundheitsberatungen und Präventions-App